Humboldt-Universität zu Berlin - Musikwissenschaft

Historischer Lehrstuhl

Der Lehrstuhl Historische Musikwissenschaft pflegt in Forschung und Lehre dieses alte Kerngebiet der Musikwissenschaft auf eine Weise, welche Tradition mit Innovation und disziplinäre Fragestellungen mit transdisziplinären Ansätzen verbindet. Er sucht die freie Entfaltung der im Lehrgebiet tätigen Forscherpersönlichkeiten – die Studierenden eingeschlossen – im offenen, argumentationsbezogenen Gedankenaustausch zu befördern. Der Schwerpunkt beruht nicht auf kurrikularer Vollständigkeit eines historischen Überblicks, sondern auf einem Ineinandergreifen der von den einzelnen in Lehre und Forschung tätigen MitarbeiterInnen verantworteten Themenstellungen.

Die Musikgeschichte ist, im Unterschied zu anderen Historien, deren Daten und Fakten der Vergangenheit angehören, nicht nur aufgrund eines aktuellen Verstehenshorizontes mit der Gegenwart verbunden, sondern vor allem auch deshalb, weil die Musikwerke früherer Epochen durch Aufführung und Kommentar zu einem Teil unserer eigenen ästhetischen und kognitiven Erfahrung werden. Im Unterschied zu einem bloß sinnlichen ästhetischen Genießen indes wird die Musik im Sinne der Geschichts-, Kunst- und Kulturwissenschaften hier in vielfältigster Weise zu einem Gegenstand historischer Erkenntnis gemacht.

Das Lehrgebiet ist offen für methodologische Innovationen und Reflexionen aller Art. Als besonders wichtig erscheint die enge Zusammenarbeit mit Philosophie, Literatur- und Sprachwissenschaften, Geschichtswissenschaft, Kunst­wissenschaft, aber auch Mathematik etc., die sich u. a. in interdisziplinär angelegten Lehrveranstaltungen niederschlägt. In den Lehrveranstaltungen wird auf die Entwicklung und Schärfung eines musikhistorischen und analytischen Methodenbewusstseins – unter Einschluss der kulturwissenschaftlichen Dimensionen einer "New Musicology" – großer Wert gelegt.

Im Unterschied zu Öffnungstendenzen, die Fachmethodologien als "alte Zöpfe" und disziplinäre Korsette ablehnen, fördert der Lehrstuhl Historische Musikwissenschaft Fachkompetenz im besten Sinne des Wortes. Wichtig ist dabei auch die Öffnung zu neuen Tendenzen der Musiktheorie, sowohl innerhalb Deutschlands als auch international.

Bei aller Komplexität der methodologischen Fragen historischer Musikforschung besetzt die klingende Musik, gerade auch in der Differenz verschiedener Interpretationen ein und desselben Werkes, einen wichtigen Platz innerhalb der Lehr- und Forschungstätigkeit. Eigenes Musizieren ist – als Basis für ein fruchtbares kognitives Erkennen von Musik – in aller Regel unabdingbar. Auch die Auseinan­dersetzung mit Neuer Musik gehört zu den wesentlichen Grundlagen einer Musikwissenschaft, die nicht selbstgenügsam-isoliert Vergangenheitspflege betreibt. Der Lehrstuhl fördert, soweit möglich, die Aktivitäten der Studierenden an Musikinstitutionen Berlins und weiterer Städte. Wissenschaftliche Kompetenz soll im Laufe eines Bachelor-, Master- und Promotionsstudiums nicht "abgehoben" erlangt, sondern bereits in der Studienphase durch einen Praxisbezug ergänzt werden. Dadurch wird es den Absolventen entschieden erleichtert, nach Abschluss des Studiums im Berufsleben Fuß zu fassen. Die Humboldt-Universität bietet ihren Studierenden die Möglichkeit, in mehreren Ensembles zu musizieren und öffentlich aufzutreten.

Zu den wichtigen Zielen des Lehrstuhls gehört ferner auch eine internationale Orientierung von Lehre und Forschung: einerseits durch Lektüre fremdsprachiger Quellen und Forschungsliteratur, durch Studierende und Gäste aus aller Welt, die an der Arbeit des Lehrstuhls temporär partizipieren und durch Vorträge und Seminare, die ausländische Musikforscher an der HU anbieten; andererseits durch internationale Aktivitäten der am Seminar Tätigen sowie durch Teilnahme der Studierenden an internationalen Austauschprogrammen wie Erasmus. Der Lehrstuhl Historische Musikwissenschaft der Humboldt-Universität ist deutschlandweit der von Forschungsstipendiaten und Forschungspreisträgern der Alexander-von-Humboldt-Stiftung weitaus am häufigsten gewählte Gastgeberort.

Im Mittelpunkt der Historischen Musikwissenschaft, soweit sich diese als "Kunst­wissenschaft" versteht, steht die Analyse musikalischer Werke. Ziel ist es dabei, in deren Spezifik einzudringen, einerseits unter Berücksichtigung geschichtlich ausgebildeter Weisen der Analyse und andererseits durch die Entwicklung eigener "fruchtbarer" Fragehorizonte.

Besonderes Gewicht hat für Historische Musikwissenschaft die geschichtliche Vermittlung der (von ältesten Traditionsbeständen bis zu unserer Gegenwart reichenden) Überlieferung von musikalischen Quellen, Quellen der Musikästhetik, Musiktheorie, Institutionsgeschichte und musikalischen Poetik. Neben der Theorie und Philosophie der Musik, neben Historik und Ästhetik gehört zu den Schwerpunkten des Lehrstuhls auch die musikalische Interpretation als historische Praxis und als Gebiet systematischer Musikforschung. Gerade wenn auf eine an­gewandte Dimension von Wissenschaft geachtet wird, gewinnen Theorie und Praxis der Interpretationsforschung – auch unter Einbezug aktueller Klanganalysen – einen besonders wichtigen Stellenwert.

Ein weiteres Ziel des Lehrstuhls ist es, einen angemessenen sprachlichen Umgang im Reden und Schreiben über Musik zu befördern. Eine kritische Kompetenz in methodologischen Fragen der Historischen Musikwissenschaft soll mit einem Bewusstsein von der Geschichtlichkeit der Musikwissenschaft als philologischer und akademischer Disziplin verknüpft werden, insbesondere in den Bereichen Historik (Theorie der Geschichte), Historiographie (Lehre von der Geschichtsschreibung) und Biographik (Lehre von der Lebensgeschichte von Musikern).